Der Adam’s Peak hat seinen Preis

Sri Lanka hat viele heilige Stätten, die höchste liegt auf einer Bergspitze. Die Engländer haben den kegelförmigen Berg Adam’s Peak genannt, bei den Singhalesen heißt er Sri Pada. Der buddhistischen Lehre nach hat Buddha auf Sri Lankas vierthöchstem Punkt seinen Fußabdruck hinterlassen. Wie der Zufall so will, glauben Hindus, dass eben jener Fußabdruck von ihrem Gott Shiva stammt. Und als sei das nicht genug, sollen Christen auf Sri Lanka Jesus Christus als Urheber sehen. Mal unabhängig von der Frage, ob Jesus einen Ausflug hierher gemacht haben könnte, herrscht rund um den Berg also ein gewisses Durcheinander. Die größte Anziehungskraft übt der 2243 Meter hohe Berg auf die buddhistische Mehrheit des Landes aus. Mindestens einmal sollte man als Gläubiger oben gewesen sein. Soviel vorweg: Es lohnt sich auch als Ungläubiger. Aber es hat seinen Preis.

Sieht von unten harmlos aus: der Adam’s Peak.

Eine kurze Nacht muss reichen, denn wir brechen sehr früh auf. Um 1.45 Uhr steht die Gruppe vor dem Hotel, ausstaffiert mit allem, was europäische Outdoor-Läden so zu bieten haben. Das Programm für die nächsten Stunden: gut 1100 Höhenmeter auf einer Distanz von gerade mal vier Kilometern. Etwa 8000 Stufen führen hinauf auf den spitzen Gipfel. Früher gab es nur ein paar Stufen, berichtet unser Guide Viraj. Ein Großteil des Weges führte bis dahin über steile Rampen. Nach Ende des Bürgerkrieges haben srilankische Soldaten, ihres ursprünglichen Verwendungszwecks beraubt, den heiligen Berg mit Stufen versehen. Eine dieser Aufgaben, die man niemandem wünscht, wenn man sie sich mal näher betrachtet.

Der Aufstieg beginnt locker und führt bei gemächlicher Steigung zwischen einer endlosen Kolonne von Buden rechts und links des Weges vorbei, von denen viele auch zu dieser Zeit schon geöffnet haben. Denn das Ziel der meisten Wanderer auf den Berg ist der Sonnenaufgang. Die Schar der Bergwanderer ist kunterbunt und beachtlich: Jugendliche, die lärmend ihre Albernheiten treiben, Familien mit kleinen Kindern, Mönche, sehr alte Frauen, die den Berg schon unzählige Male bestiegen haben und ihn auf einen Knüppel gestützt erneut in Angriff nehmen. Zwar sind gerade früh morgens auch zahlreiche Touristen unterwegs, die einheimischen Pilger bilden aber eindeutig die Mehrheit, weshalb sich die Mission Gipfel hier nicht wie eine reine Touristen-Attraktion anfühlt.

Der Weg, das lässt sich leicht ermessen, zieht sich. Der Trick ist, so schnell wie möglich in einen gleichmäßigen, am besten langsamen Rhythmus zu kommen. Was nicht leicht ist, weil die Stufen alle unterschiedliche Höhen haben, von zehn bis mehr als 30 Zentimeter. Dennoch ist der Aufstieg alles in allem gut machbar, weshalb ich den sicher 1000 Kilometern dankbar bin, die ich zuvor in Australien und Vietnam abgespult habe. Anstregend ist es natürlich allemal, aber alle Starter unserer Gruppe erreichen auch den Gipfel.

Oben herrsht enormes Gedränge. Hunderte Pilger sind schon in den Abendstunden aufgebrochen und haben hier oben eine sicher eher schlaflose Nacht verbracht. Denn sie liegen zusammengepfercht in einer Art Kellern oder kauern dösend auf einer der Stufen. Der Sonnenaufgang ist die magische Zeit auf dem Gipfel, der von einem Kloster beherrscht wird. Diese Zeit will keiner verpassen, der jetzt hier oben ist.

Es hätte ja regnen können. Oder der Himmel von dicken Wolken verdeckt sein. Aber wir haben Glück, großes Glück sogar. Denn der Himmel, tags zuvor noch grau, ist fast wolkenlos, als im Osten ein gelb-goldenes Band den Horizont erhellt. Das Gedränge Richtung Ostseite der Bergspitze ist immens. Einige Pilger kommen von dieser Seite hoch und wollen hinauf in den Tempel, um Buddhas Fußabdruck zu eben dieser Stunde zu sehen. Dagegen drückt die große Masse derer, die das Naturschauspiel sehen wollen. Für einen kurzen Moment denkt man daran, was passieren könnte, wenn hier eine Panik ausbricht, wenn jemand auf den steilen Stufen stolpern und stürzen würde. Die Folgen wären kaum absehbar, aber zum Glück geht alles gut. Wir erreichen mit viel Geduld, Arm- und Ellbogeneinsatz schließlich die Ostseite, gehen ein Stück die Stufen hinab, um dem größten Gedränge zu entgehen und werden mit dem schönsten Sonnenaufgang belohnt, den ich bisher gesehen habe.

Einmalig: der Sonnenaufgang auf dem Adam’s Peak.

Ein fantastisches Panorama tut sich auf, als die Sonne über die Bergkette am Horizont steigt. Nebelschleier in den zahllosen Tälern, ein silbrig glänzender See, golden glänzende Blätter an den Büschen, die teilweise den Berghang bedecken. Ein einmaliges Erlebnis, an dem man sich kaum satt zu sehen vermag, weil der Kopf diese ganze Pracht kaum einordnen, kaum bändigen kann. Trotz der vielen Menschen herrscht eine erhabene Stille. Jeder genießt diesen Moment auf seine Weise, saugt jede Sekunde in sich auf. Selbst Virajs Blick wirkt ein wenig entrückt, dabei ist dies bereits sein 36. (!) Mal auf dem Gipfel. „So schön ist es nur ganz selten“, sagt er.

Und dann ist es vorbei. Der Himmel ist hell, und einer der nächsten pragmatischen Gedanken ist: Nicht zusammen mit der ganzen Masse den Berg hinunter, das gibt nur einen einzigen Stau. Also starten wir den langen Abstieg, der mich mehr Kraft kosten soll als der Aufstieg.

Eine Stufe nach der anderen geht es hinab, und mit jedem Schritt müssen Knie und Waden das gesamte Gewicht abfangen. Ich habe, anders als die meisten in der Gruppe, auf Wanderstöcke verzichtet, weil ich erstens keine habe und das zweitens albern aussieht, wenn neben mir eine Oma auf Flip-Flops läuft. Falsche Eitelkeit, wie sich bald herausstellt. Meine Beine fühlen sich mehr und mehr wie Pudding an, was ich an den sehr wenigen flachen Stellen spüre. Schon während des Weges kommt mir ein anderer, bis heute traumatischer Abstieg in den Sinn. Mit meinem besten Freund Markus bin ich vor Jahren mal über irgendeine rutschige Nordseite zum Königssee hin abgestiegen – und konnte danach zwei Tage nicht mehr laufen. Den Spruch „konditionell hat mich das nicht gefordert“, habe ich ihm bis heute nicht verziehen.

Solche Frechheiten nimmt sich in unserer Wandergruppe niemand heraus, denn allen tut der Abstieg weh. Als wir schließlich das Dorf im Tal erreichen, laufe ich wie auf den Beinen eines Fremden. „Das wird schon“, sagt Richard, ein zäher Österreicher, „nimmst gleich ein bisschen Magnesium.“ Weder Magnesium noch der Asiaten magischstes Heilmittel Tiger Balm sollte mich jedoch vor einem Muskelkater bewahren, der mich zwei Tage zu fast völliger Bewegungsunfähigkeit verdammte. Ebenerdige Schritte waren ebenso kein gar so großes Problem wie Treppensteigen. Aber jede Andeutung von Abstieg, und seien es auch nur wenige Grad Gefälle, ließen meine Waden zu Stahl verkrampfen. Mein Preis für den schönsten Sonnenaufgang meines Lebens waren also enorme Schmerzen, die mich bei jedem Schritt an diesen Abstieg haben denken lassen. Wert war es dieser majestätische Ausblick trotzdem.

Anmerkung: Namen von Mitreisenden geändert

Eine Antwort auf „Der Adam’s Peak hat seinen Preis“

  1. Deine Muskeln und Sehnen werden mit der Zeit vergeben, dass Du sie malträtiert hast. Der Sonnenaufgang wird dir aber in Erinnerung bleiben.
    Weiterhin gute Begegnungen und schöne Reise.

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