Irgendwann, Du hast schon einige Kilometer in den Beinen, kommt dieser Moment, an dem Du denkst: Das stimmt ja wirklich. Eigentlich ist es eins dieser blöden Klischees, wenn von der Grünen Insel die Rede ist. Schließlich gibt es auch einen Haufen anderer Inseln, die grün sind. Aber dann läufst Du durch diese Landschaft und erkennst, dass Grün hier wirklich in allem steckt. Irland sieht hier tief im Südwesten an vielen Stellen aus, als sei es einem Malkasten entsprungen, indem die knalligen Farben fehlen. Mal ist das Grün mit Braun oder Schwarz gemischt, was die Hänge der Hügel karg und rau wirken lässt. Dann wieder mit Blau oder auch mit Deckweiß aufgehellt, so dass manche Wiese in der Sonne leuchtet wie ein Hubba-Bubba-Kaugummi mit Apfelgeschmack. Irland ist hier unten sogar dort grün, wo es eigentlich gar nicht grün sein sollte. Denn auch die Baumstände sind grün, weil sie in den dichten Wäldern so mit Moos überzogen sind, dass es aussieht, als trügen sie eine Jacke.

Der Kerry Way im Südwesten Irlands ist der bekannteste Fernwanderweg des Landes. Er vereint die sanften grünen Hügel des Landesinneren mit spektakulären Küstenlandschaften. Er führt durch dichte Wälder, in denen Fabelwesen wohnen, über bunte Wiesen, auf denen Schafe grasen, und zu spektakulären Panormablicken auf den Atlantik. Dieses Land ist ein überreiches Portfolio von Postkarten-Motiven. Ein perfektes Wanderziel, um alle lästigen Gedanken zu Hause zu lassen.
Im Prinzip gibt es zwei Varianten, den Kerry Way zu laufen: eine lange und eine kürzere. Für die längere braucht man zwölf Tage, für die kürzere acht. Da ich nur eine Woche Zeit hatte, habe ich mich für die kürzere entschieden. Das hat sich auch im Nachhinein als richtig erwiesen, weil der Kerry Way einerseits ordentlich auf die Füße geht und ich so andererseits den Ansporn habe, wiederzukommen, um die restlichen vier Etappen zu laufen. Man kann den Kerry Way gut laufen, indem man sich in den Etappen-Zielorten Unterkünfte im Voraus bucht und im Rucksack mitträgt, was man so braucht. Ich habe mich für die komfortablere Variante entschieden und über Wikinger Reisen eine Tour mit vorgebuchten Unterkünften und Gepäcktransport gebucht. Das hat sich defintiv ausgezahlt und war, wie ich von anderen Wanderern weiß, die ihre Unterkünfte einzeln gebucht haben, preislich kein großer Unterschied.

Anreise über Dublin oder Kerry Airport
Die kürzere Variante startet in Glenbeigh, einem kleinen Örtchen an der Nordseite der Halbinsel, die es zu umrunden gilt. Die lange Tour beginnt dort, wo beide enden: in Killarney, der Touristenhochburg von Irlands vielbereistem Südwesten. Für beide Startpunkte bietet sich der Kerry Airport als Zielflughafen an. Den erreicht man entweder über einen Zwischenstopp in Dublin, was von Düsseldorf aus allerdings nicht unter acht, neun Stunden Gesamtreisezeit zu machen ist. Oder man fliegt von Frankfurt-Hahn mit Ryanair. So habe ich es gemacht und das war unterm Strich nicht die schlechteste Idee, auch wenn man die Anfahrt nach Rheinland-Pfalz mitrechnen muss. Das hat allerdings auch den Nachteil, dass man mit dem Bus vom Flughafen bei Farranfore nicht mehr nach Glenbeigh kommt. Sowieso fahren Busse von hier aus nur Richtung Nordwesten nach Trailee und in Richtung Südosten nach Killarney. Man müsste also entweder noch eine „Zwischennacht“ in Killarney einlegen oder mit dem Taxi vom Flughafen nach Glenbeigh fahren, was um die 80 Euro kosten dürfte.
Erster Tag: Glenbeigh-Caherciveen (23-28 km)
Der Kerry Way beginnt mystisch. Denn gleich hinter Glenbeigh läuft man bergan in einen dichten Wald hinein, dessen Weg von lauter liebevoll gestalteten kleinen Modell-Häuschen gesäumt ist. Diese sind so groß wie Puppenhäuschen und bieten den Fairies Unterschlupf. Das sind kleine Feenwesen, die der Sage nach in den Wäldern wohnen. Wenn man ganz leise ist, kann man sie hören, wie sie durch das Unterholz huschen.




Nach dem Fairy Forest zieht sich die Landschaft erstmal über ein langes Stück gemächlich hin und erreicht dann die Rossbeigh Hills. Von ihrer Nordflanke aus hat man einen herrlichen Blick über den Meeresarm und auf die gegenüberliegende Dingle-Halbinsel. Ich hatte Glück mit dem Wetter und eine entsprechend weite Sicht. Da muss man beim Gehen schon aufpassen, wohin man tritt, denn den Blick kann man kaum von der Umgebung lösen. Dieses Panorama zieht sich über mehrere Kilometer an einem Hang entlang.




Weiter geht’s danach wieder in Richtung Landesinnere und über ein raues Hochplateau, bevor der etwa zehn Kilometer lange, sanfte Abstieg in Richung Caherciveen beginnt. Hier lohnt es sich, an verschiedenen Stellen mal innezuhalten und sich genauer umzusehen. Spannend sind zum Beispiel die Ruinen alter Cottages, die vor langer Zeit aufgegeben wurden, weil die Bewohner ein besseren Leben in Nordamerika oder anderen Teilen der Welt gesucht haben. Man kann sich gut vorstellen, dass dieses grüne, aber eben doch schroffe Land ein entbehrungsreiches Leben beschert hat. Das ländliche Irland war, bei all seiner Schönheit, einst eins der Armenhäuser Europas.
Einer der Vorteile, wenn man Unterkünfte vorab gebucht hat, ist eine Abkürzungsmöglichkeit. Die letzten fünf Kilometer der Etappe haben wenig zu bieten und deshalb bieten die B&Bs in der Regel einen Abholservice ab einer Kreuzung mitten im Nirgendwo an. Das Kunststück besteht dann nur darin, den richtigen Flecken zu finden, von dem man Handyempfang hat.
Zweiter Tag: Caherciveen – Waterville (28 km)
Der zweite Tag auf dem Kerry Way belohnt jene, die vorher ein bisschen trainiert haben. Und die Etappe ist echt gnadenlos zu denen, die sich auf einen leichten Spaziergang eingestellt haben. Wir haben sie unterwegs die Etappe der 1000 Hügel genannt. Die Strecke führt über einen langen Bergrücken mit stetigem Auf und Ab. Bei jedem Hügel denkt man, dass dies nun aber wirklich der höchste Punkt der Etappe sein muss, bevor sich das Land wieder für das Auge öffnet und man den nächsten Hügel vor sich sieht, vor dem man natürlich erst mal wieder ein Stück hinunter muss.
Der Weg hier ist sehr ausgetreten, und aufgrund des torfigen Bodens auch an vielen Stellen matschig. Den zu laufen, wenn es regnet oder mehrere Tage geregnet hat, ist sicher keine gute Idee. Aber auch wenn es längere Zeit nicht geregnet hat, tritt man immer wieder in matschige, rutschige Stellen die eine gewisse Trittsicherheit erfordern. Die fantastischen Ausblick ins Hinterland und Richtung Atlantik entschädigen aber für jeden mühsamen Schritt.







Der zweite Tag ist auch deshalb etwas fies, weil zehn Kilometer vor dem Ziel noch ein weiterer, deutlich steilerer Anstieg wartet. Aber auch hier entschädigt das Panorama für jeden mühevollen Schritt. Auf dem Höhenzug oberhalb von Waterville bekommt man die ganze Pracht dieser Landschaft in konzentrierter Form. Geht der Blick zurück, sieht man bis zum Horizont grüne Hügel. Blickt man nach vorn, sieht am über die zerklüftete Küste auf den Atlantik. Wirklich spektakulär. Und auch das Örtchen Waterville am Ziel der Etappe hat einiges zu bieten. Hier hat nicht umsonst Charly Chaplin schon gerne seinen Urlaub verbracht.







Einkehrtipp in Waterville: The Lobster Bar. Ein schöner Pub, in dem es die leckersten Fish & Chips gibt, die ich bisher gegessen habe. Danach: Bier im Supermarkt kaufen (die haben in Irland auch sonntags und abends lange geöffnet) und ans Wasser setzen.
Dritter Tag: Waterville – Caherdaniel (13 km)
Die kürzeste gilt als eine der schönsten Etappen des Kerry Way. Vielleicht weil man hier an mehreren Stellen tolle Ausblicke aufs Wasser hat. Das fängt gleich hinter Waterville an, wo der Weg an einer Steilküste entlangführt. Danach steigt er über mehrere Kilometer sanft an und zur Rechten hat man immer den Blick auf den Atlantik. Kurz bevor der Weg über einen Kamm in die nächste Bucht führt, hat man den besten Blick auf Skellig Michael. Die schroffe Felseninsel ist Star-Wars-Fans als Skywalker Island bekannt: Die Insel diente als Kulisse für den Zufluchtsort von Luke Skywalker in Episode VII. Ihr historische Bedeutung ist aber weit beeindruckender: Wahrscheinlich schon im 7. Jahrhundert wurde hier ein Kloster errichtet, in dem Mönche lebten. Die Lebensumstände auf einer Insel, auf der nichts wächst und die gut 10 Kilometer vor der Küste liegt, mag man sich heute nicht mehr vorstellen. Auf die Insel kann man natürlich Touren buchen. Die tägliche Gästezahl ist wegen der hohen Nachfrage – die traurigerweise eher an Star Wars als an ihrer Geschichte licht – limitiert.


Hat man den kleinen Pass hinter sich gelassen, blickt man gleich auf eine wunderschöne Bucht mit kleinen vorgelagerten Inseln – die natürlich alle grün sind. Hier bietet sich unbedingt eine Pause an. Da die Etappe nur drei bis vier Stunden dauert, hat man massig Zeit, um die Landschaft zu genießen. So lohnt sich auch ein Abstecher, der vom Kerry Way runter Richtung Küste führt. Hier nimmt man den Abzweig Richtung Derrynane House. An der Küste gibt es ein paar tolle Sandstrände, die über einen sehr schönen Wanderweg verbunden sind.





Zur Einkehr gibt es im kleinen Caherdaniel nur eine Möglichkeit: das Blind Piper. Dafür ist der Pub umso schöner, das Bier kalt und das Essen richtig lecker. Tipp: die Buffalo Chicken Wings sind großartig.
Vierter Tag: Caherdaniel – Sneem (17 km)
Von Caherdaniel geht’s wieder hoch in die Hügel. Oben bleibt man dann während der ganzen Etappe in etwa auf derselben Höhe, folgt den gelb-schwarzen Hinweisschildern und hat den Meeresarm immer zu seiner Rechten. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt die Beara-Halbinsel auf der es, wie auch auf der Dingle-Halbinsel, auch einen Rundwanderweg gibt. Der Weg führt über Wiesen und Weiden und bietet einige schöne Eindrücke. Dass nicht ganz so spektakuläre Blicke dabei sind wie an den vergangenen Tagen, fand ich eher erholsam. Denn sonst ist man von Eindrücken auch schnell überfrachtet.







Einkehrmöglichkeiten gibt es in Sneem einige. Das Murphy’s war gut besucht. Tipp: Die haben ein sehr leckeres Irish Red Ale.
Fünfter Tag: Sneem – Kenmare (28 km)
Diese lange Etappe kann man auch wieder abkürzen, indem man mit der Unterkunft einen Transport zur Blackwater-Bridge verabredet. Bis dahin verpasst man nicht allzu viel und steigt gleich an einem der schönsten Teilstücke ein. Denn der Weg führt hier auf Meereshöhe durch bewaldetes Gebiet. Schön, erholsam und wieder ein ganz anderer Eindruck als an den vergangenen Tagen.


Später führt der Weg wieder hoch in Hügel, bevor es die letzten Kilometer bergab Richtung Kenmare geht. Das Städtchen ist im Vergleich der Dörfer der vergangenen Tage touristisch deutlich erschlossener. Hier kann man besonders an den Wochenende mit den Iren in den Pubs prima feiern.



In Kenmare habe ich die Wanderung beendet, weil in Killarney an diesem Wochenende kein Zimmer mehr zu bekommen war. Unangenehm war das nicht, denn so hatte ich Gelegenheit, die vielen Eindrücke der vergangenen Tage zu verarbeiten. Und, wie schon erwähnt, bietet mir das eine prima Ausgangslage, die restlichen vier Etappen zu gehen, die mich dann wieder zu meinem Ausgangspunkt Glenbeigh führen.
Fazit
Machen. Der Kerry Way ist ein unwahrscheinlich schöner und abwechslungsreicher Wanderweg. Dass er nicht durchoptimiert ist und seine tückischen und matschigen Passagen hat, macht seinen Charakter mit aus. Die Landschaft hat noch mehr zu bieten, als ich mir ohnehin schon erhofft hatte. Und die Iren sind einfach ein sehr nettes Volk. Natürlich ist das mitunter auch eine Floskel, aber es hat schon was, wenn man bei Begegnungen nicht nur gegrüßt, sondern gleich gefragt wird, wie es einem geht. Diese Atmosphäre spürt man dann auch jeden Abend in den Pubs – die für sich genommen ja schon eine Reise wert sind. Ich komme sicher wieder.
