Ich wollte, das hat sich irgendwann so herauskristallisiert, Weihnachten gerne an einem Strand verbringen. Vielleicht weil das der größtmögliche Kontrast zu dem ist, wie wir zu Hause Weihnachten feiern. Weihnachtliche Gefühle, so mein Kalkül, kommen so sicher nicht auf – und damit auch kein Heimweh. Vor meinem inneren Auge hatte ich ein Bild: Eine Hängematte zwischen zwei Palmen vor dem Sonnenuntergang. Bali? Mitten in der Regenzeit. Thailand? Hm, weiß nicht. Koh Rong in Kambodscha? Soll sau dreckig sein, wie ich hörte. Also entschied ich mir für Phu Quoc im äußersten Südwesten von Vietnam, weil ich das Land ohnehin auf meiner Liste hatte. Phu Quoc, so hatte ich in verschiedenen Foren gelesen und so haben es mir auch ein paar Reisende in Siem Reap erzählt, sei eine tolle Insel mit herrlichen, teilweise einsamen Stränden.
Tatsächlich habe ich eine Insel kennengelernt, die in beispielloser Dimension für den millionenfachen Ansturm von Touristen vor allem aus China und Russland vorbereitet wird. Und deren Hauptstadt, wenn kein Umdenken stattfindet, komplett im Müll ersticken wird.

Phu Quoc wird derzeit in Rekordzeit zu einem Ferienziel ausgebaut, dass es in ein paar Jahren in Sachen Bettenzahl locker mit südostasiatischen Platzhirschen wie Phuket oder Bali aufnehmen können wird. Im Süden der Insel entstehen derzeit ganze Dörfer aus mehrstöckigen Gebäuden samt Prachtboulevards und Einkaufszentren. Eines dieser Mammut-Ressorts ist in der Optik italienischen Küstenorten nachempfunden. Die vierstöckigen Gebäude sollen wohl an Venedig, Florenz oder Amalfi erinnern und stehen dicht an dicht an einem Hang. Die Häuser sind dem Augenschein nach weitgehend fertig, Gäste sind aber noch keine drin. Das wird aber nicht mehr lange dauern.
Ein paar Kilometer nördlich davon entsteht eine weitere gewaltige Anlage, die nicht ganz so im Vintagelook gebaut wird, aber auch europäische, vielleicht französische Architektur abkupfert. Zusammen genommen dürften allein in diesen beiden Anlagen mehrere Zehntausend Gästezimmer entstehen.
Auf dem Weg von Duong Dong, dem Hauptort der Insel, an die Südspitze sind wir zudem an mehreren weiteren Großbauprojekten vorbeigefahren, dazu hat die breit ausgebaute Hauptstraße in Richtung Süden schon fertige Abfahrten in bisher noch freies Gelände. Im Norden gibt es ähnliche Bauprojekte, wie mir andere Urlauber erzählt haben. In ein paar Jahren wird die jährliche Besucherzahl der Insel, die nur vier Kilometer von der kambodschanischen Seegrenze entfernt liegt, in die Millionen gehen.
Klein-Nizza und Groß-Ravello liegen dann unmittelbar nördlich von einer zum Freizeitpark ausgebauten kleinen Insel, auf die man mit dem Cable Car, der nach Angaben der Tourismusbehörde längsten dreiteiligen Seilbahn der Welt, fahren kann. Die startet in einem Gebäude, das einer antiken, möglicherweise römischen Ruine nachempfunden wurde. Am Zielort Pineapple Island, wo keine Ananas wächst, ist dann eher eine beton- und plastikgewordene Südsee das Motto der Wahl. Wobei die drei Hula-Mädchen, die die Urlauber am Ausgang der Cable-Car-Station empfangen, zu Merengue-Klängen die Hüften schwingen. Da ist wohl noch etwas Feinabstimmung vonnöten.
Vom schmalen Strand, der durch eine gepflegte Wiese verbreitert wird, geht es mit dem Boot zum Schnorcheln und auf eine weitere Insel. Die kleinen Eilande sind malerisch, haben hübsche kleine Strände, das Wasser ist einigermaßen klar. Aber schon jetzt ist es voll hier, hält ein Tourenboot neben dem anderen, löst eine Touristengruppe die andere beim Schnorcheln und beim Kokosnuss-Schlürfen am Strand ab. Und wachsen werden die kleinen Inseln hier von Natur aus nicht, bis die riesigen Ressorts fertig sind und der bereits ausgebaute Flughafen per Direktflug aus Moskau, Peking und Seoul angeflogen werden kann. Das dürfte eng werden. Auf den Inselchen wird allerdings auch an vielen Stellen gebaut, um so viele Touristen wie möglich aufnehmen zu können.
Der Bevölkerung wird das Jobs und Devisen bringen. Schon heute zieht Phu Quoc auch Menschen aus anderen Teilen Vietnams zum Arbeiten an. Unser Guide Viet zum Beispiel, ein kleiner, aufgeweckter Kerl von vielleicht 50 Kilo und halb so vielen Jahren, kommt ursprünglich aus dem Mekong-Delta. Viel mehr als Fischerei und ein bisschen Landwirtschaft gebe es da aber nicht. Deshalb ist er nach Phu Quoc gekommen und führt heute Touristengruppen auf den immer gleichen Touren zu den immer gleichen Plätzen. Mit welcher Herzlichkeit er dies auch nach zwei Jahren noch tut, macht Hoffnung, dass die Insel sich vielleicht wenigstens in einigen Teilen noch ein bisschen Charme bewahrt. Den allerdings muss man jetzt schon ziemlich suchen.
Was Phu Quoc aber gerade an der Westküste richtig gut kann, sind Sonnenuntergänge.
Denn ich habe zwei Palmen und den Sonnenuntergang tatsächlich gefunden, die Hängematte passte allerdings nicht dazwischen. Der Kontrast war aber auch so groß genug, um zu der Uhrzeit, zu der in Deutschland üblicherweise die Bescherungen über die Bühne gehen, kein Heimweh aufkommen zu lassen. Die Unterkunft im nördlichen Teil der Inselhauptstadt Duong Dong hatte ich über Airbnb gebucht. Statt der geplanten fünf bin ich dort aber nur zwei Nächte geblieben. Länger habe ich es einfach nicht ausgehalten, was nur einen Grund hatte: den Müll.
Zu Fuß war es von dem Privathaus, an das zwei hübsche, saubere Appartements angebaut wurden, etwa eine halbe Stunde in die Stadt und von dort noch einmal so lange bis zu den Kneipen und Restaurants, die sich den Long Beach südlich von Duong Dong entlangziehen. Weil ich sehr gerne laufe, ist die Entfernung kein Thema, aber die Leute verdrecken ihr Umfeld in diesem Teil der Insel so dermaßen, wie ich es widerlicher noch nicht erlebt habe. Und ich habe eigentlich ein recht dickes Fell. Aber hier wird sämtlicher Müll einfach irgendwo hingeschmissen. Wasserläufe und Straßenränder sind Müllkippen, zwischen denen Straßenköter herumstreunen und Ratten herumhuschen. Im derzeitigen Touristenzentrum am Long Beach ist das zwar etwas besser, aber auch dort ein großes Problem. Das wird die Inselbevölkerung in den Griff bekommen müssen, wenn dauerhaft Touristenmassen strömen sollen.

















https://m.youtube.com/watch?v=uXG4k50nfRk