Tuk-Tuk, Sir?

Für Soziologen, die den Einfluss von Massentourismus auf eine Region und ihre Menschen untersuchen würden, wäre Siem Reap der perfekte Studienort. Die Stadt mit ihren offiziell 140.000 Einwohnern wird jährlich von rund fünf Millionen Touristen besucht. Ihren wirtschaftlichen Boom verdankt Siem Reap den Tempeln von Angkor, und davon leben die Menschen auch nahezu ausschließlich. Das gesamte städtische Leben dreht sich um die Versorgung und Bespaßung der Gäste aus der ganzen Welt. In der kambodschanischen Diaspora ist in den vergangenen Jahre eine Welt aus blinkenden Neonröhren-Reklamen und Ganztags-Happyhour entstanden. Jeder Einwohner versucht, seinen Teil vom Kuchen abzubekommen – für die meisten sind das eine Handvoll Dollar am Tag, wenn es gut läuft.

Bestimmt wird das Stadtbild vor allem von den Tuk-Tuk-Fahrern. Sie halten die Maschinerie am Laufen. Tausende gibt es in der Stadt, sie stehen an jeder Kreuzung, vor jedem Hotel, jeder Bar und jedem Trödelladen. Tuk-Tuk-Fahrer sind ausschließlich männlich und viele Touristen sind schnell genervt von den Kerlen, die häufig auf ihren Rückbänken flezen, während sie auf dem Handy herumspielen und immer, wirklich immer fragen: „Tuk-Tuk, Sir?“ Das kann tatsächlich nerven, weil auch der sechste Fahrer in einer Reihe, an der man entlang läuft, dieselbe Frage stellt. Und sie sind tatsächlich allgegenwärtig.

Aufgrund der schieren Masse an Fahrern kann ein Tuk-Tuk-Fahrer von Glück reden, wenn er es am Tag auf drei oder vier Fahrten bringt. Dafür sind die Fahrer dann aber auch nicht selten 15 oder 16 Stunden auf den Beinen. Gut läuft das Geschäft für diejenigen, die von einem der Hotels und Ressorts gerufen werden, wenn Gäste die Tage in Angkor verbringen wollen. Das Geld bezahlt der Tourist dann zwar ans Hotel, für Fahrer wie meinen „Stammfahrer“ Sam ist das dann aber wenigstens eine sichere Einnahmequelle. Meine dritte Fahrt nach Angkor haben wir direkt miteinander vereinbart, so hat er 20 Dollar für vier Stunden Arbeit bekommen – ein sensationeller Stundenlohn in Siem Reap. Der durchschnittliche Kambodschaner verdient 200 Euro im Monat.

Eigentlich hat die Stadt zwei Gesichter. Eines tagsüber, wenn sich alles um die Fahrt zu den Tempeln dreht, wo sich die Massen drängen und an jedem Tempel Tuk-Tuk-Fahrer, Guides, Restaurant-Schlepper und Nippes-Verkäufer um Aufmerksamkeit buhlen. Das andere Gesicht zeigt die Stadt nach Einbruch der Dunkelheit. Denn Siem Reap hat sich, ähnlich wie Sihanoukville an der Küste und die vorgelagerten Koh-Rong-Inseln, in den vergangenen Jahren auch zum neuen Mekka der Budget-Reisenden entwickelt. Vielen Rucksack-Reisenden mit knappem Budget ist Thailand schon zu teuer, und kaum irgendwo kann man billiger schlafen, essen und saufen als in Kambodscha. An 365 Abenden im Jahr ist die Pub Street in Siem Reap Zentrum dieses Rausches. Hier bekommt man wässriges Bier für 50 Cent und Cocktails mit hochprozentigem Inhalt zweifelhafter Herkunft für 1,50 Euro. Die Läden entlang der Pub-Street sind schick, man kann hier extrem gut sitzen, wird stilvoll bedient, kann richtig gut essen und bekommt auch hochwertigere Bier- und Schnapssorten. Wem das Essen hier zu teuer ist, der tummelt sich in den Seitengassen oder anderen Teilen des Zentrums, das ausschließlich aus Restaurants, Bars und Klamottenläden besteht. Eine bunte Glitzerwelt, in der kein Wunsch offen und keiner, der es drauf anlegt, nüchtern bleibt.

Was mir in Siem Reap besonders aufgefallen ist, war die extreme Freundlichkeit, mit der man in den Restaurants und besonders in den Hotels und Ressorts behandelt wird. Die ersten drei Nächte war ich im Model Angkor Resort, einem sehr schicken Ressort am Rande der Stadt mit riesigen Zimmern, zwei Pools und Restaurant, alles sehr stilvoll. Ein perfekter Ort, um zwei Tage auszuspannen und dabei ein Dutzend monströser Moskitostiche auszukurieren, die ich mir vorher in meinem Hostel in Chinatown von Kuala Lumpur eingefangen hatte. Ich frage mich immer noch, mit was die ihre Moskitos da füttern, dass sich auf den Stichen dicke Blasen bilden.

Der größte Trumpf neben der Abwesenheit von Atommücken war aber das Personal im Model Angkor. So nett und aufmerksam, so eine natürliche Freundlichkeit, ohne dabei aufgesetzt zu wirken, habe ich noch nirgendwo erlebt. Die meist jungen Mitarbeiter an der Rezeption und im Restaurant sind immer wieder zu einem Pläuschchen bei den Gästen stehengeblieben, weil das nunmal auch für sie die beste Gelegenheit ist, ihr Englisch zu verbessern. Das hat eine außergewöhnliche Atmosphäre in einer fantastischen Anlage geschaffen – und das für einen Preis, zu dem man bei uns kein Zimmer im Ibis am Hauptbahnhof bekommt.

Auch in der Gastronomie ist Freundlichkeit oberstes Gebot. Man wird dort einfach extrem zuvorkommend und aufmerksam behandelt, woran die Kambodschaner auch nicht rütteln, wenn mal ein schon angetrunkener Gast patzig daherkommt. So sind die Restaurants in der Pub Street auch ein Sprungbrett. Zwei Mitarbeiterinnen im Resort haben mir erzählt, dass sie vorher in der Pub Street gearbeitet haben, dann die Chance hatten zu wechseln und nun besuchten beide Hotelfachschulen, um sich fürs Management weiterzubilden. Schön, wenn es so läuft.

Die Schattenseiten von Siem Reap bleiben allerdings auch nicht weit unter der Oberfläche. In Bars am Rande der Innenstadt tummeln sich auffallend viele Herren gesetzteren Alters in Begleitung gepflegt zurechtgemachter einheimischer Frauen, die meist etwa halb so alt sind. Wenn man als Mann abends alleine in der Pub Street an einem Tisch an der Straße sitzt, wird man von den allgegenwärtigen Tuk-Tuk-Fahrern mit lüsternem Grinsen gefragt, ob man Girls möchte, wenn schon keine Tuk-Tuk-Fahrt. Da ist Kambodscha nicht anders, als es früher in Thailand war. Oder auf den Philippinen, oder in Indonesien. Neben Siem Reap gilt vor allem das Küstenstädtchen Sihanoukville als eine neue Hochburg des Sextourismus, weshalb die meisten westlichen Reisenden schon einen Bogen um den Badeort machen. In der Pub Street saß ich einmal in einer Kneipe, als sich hinter mir ein Australier und ein Deutscher über das unterschiedliche Preis-Leistungs-Verhältnis von Thailänderinnen und Kambodschanerinnen unterhalten haben. Auch das ist Siem Reap.

Für ein paar Tage aber kann man es in der Stadt gut aushalten. Vor allem die Märkte sind, wie überall in Südostasien, ein spezielles Erlebnis. Da kriegt man alles vom Deuter-Rucksack bis zur Gucci-Tasche („it’s original, Sir“). Und wahrscheinlich bekommt man alles, was man nicht direkt sieht, unter der Ladentheke. Ein Streifzug durch die Stadt lohnt sich, auch wenn aufgrund der Hitze schnell ins Schwitzen kommt. Aber für den Fall der Fälle steht an der nächsten Ecke ja wieder der nächste Tuk-Tuk-Fahrer.

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