Der Verkehrskollaps als Dauerzustand

Einen der größten Unterschiede zwischen dem Alltag in Mitteleuropa und Südostasien kann man hören. In den Großstädten fast durchgängig am Tag, auch zu Unzeiten in der Nacht. Es ist ein manchmal enervierend lautes Orchester schiefen Getrötes, dass durch die Straßen von Saigon, Hanoi und Bangkok dröhnt. Die Hupe ist die wichtigste Funktion eines jeden Fahrzeugs in diesen Städten, die niemals zur Ruhe kommen.

Die engen Straßen in Hanois Altstadt teilen sich Moped- und Autofahrer, Fußgänger und Karrenschieber aller Art. Es gibt zwar fast überall Bürgersteige, die werden aber anderweitig genutzt.

Dabei wird sie, das wird dem Beobachter bald klar, ganz anders genutzt als bei uns. Auf deutschen Straßen ist die Hupe ein reines Instrument der Wut, mit dem der Fahrer (in den meisten Fällen ist das ein männliches Phänomen) sein eigenes Schreien verstärkt, mit dem er andere (nicht selten weibliche) Fahrer hinter den geschlossenen Scheiben seiner Limousine zurechtkeift. Das wutverzerrte Gesicht ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Vorgangs. Ich will gerne einräumen, dass ich gelegentlich selbst zu diesem Mittel greife.

In Südostasien ist das Hupen zwar allgegenwärtig, es wird aber nicht – oder nur selten – aus Empörung benutzt. Die Intensität und Dauer des Hupvorgangs untermauert vielmehr die Dringlichkeit des eigenen Anliegens. „Achtung, ich hab’s eilig“ oder „Achtung, ich wiege nur 40 Kilo, transportiere auf meinem Moped aber 150 Kilo an allerlei Fracht“. In den scheinbar undurchdringlichen Knäueln aus Mopeds, die sich vor Kreuzungen stets entwirren müssen, schafft die Hupe Platz. Und hat sich der Pulk einmal in Bewegung gesetzt, ersetzt die Hupe auch den Blinker. Auf Handzeichen wird zumeist verzichtet, es sei denn, einer der Mitfahrer übernimmt das.

Auf den Mopeds wird alles transportiert, egal wie sperrig.

Ja, plural. Denn das Moped wird auch von Familien und Gruppen genutzt. Die Höchstzahl, die ich gesehen habe, waren fünf Jugendliche auf einem Roller in Da Lat. Vierköpfige Familien sieht man häufig: Vater fährt, dahinter die Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm, die große (und immer noch sehr kleine) Schwester dahinter. Einkäufe oder anderes Transportgut steht dann zwischen den Beinen des Fahrers. Auch beliebt: Ein Kind steht hinter dem Lenkrad, der Vater sitzt dahinter, gefolgt vom zweiten Kind und der Mutter. Auch beim Transport von Gütern aller Art sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Das Kurioseste, was ich gesehen habe: ein am Seil hinterhergezogene Matratze, die über eine Straße in Cat Ba geschleift wurde.

Da wundert es nicht, dass die Straßen in Südostasien zu den gefährlichsten der Welt gehören. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass im Jahr 2016 über 24.000 Menschen auf Vietnams Straßen ums Leben gekommen sind. Offiziell gemeldet wurde ein Drittel. In Thailand sind laut WHO im gleichen Jahr 22.500 Menschen bei Unfällen gestorben. Zum Vergleich: in Deutschland waren es in dem Jahr 3327. Auf 100.000 Einwohner liegt Thailand mit 32,7 Verkehrstoten weltweit auf Rang neun. Nur auf den Straßen einiger afrikanischer Länder ist es noch gefährlicher. In Vietnam wurden im Jahr 2016 26,4 Tote auf 100.000 Einwohner gezählt, in Deutschland 4,1.

Diese Zahlen führen zwar jedes Jahr zu Forderungen nach mehr Sicherheit, zu sehen ist davon ist davon aber nichts. Gerade in Vietnam sitzt an jeder Straßenecke ein Uniformierter, aber keinen davon interessiert, was vor ihren Augen passiert. Vollbeladene Roller kürzen in hohem Tempo über Bürgersteige ab, wie selbstverständlich geht es auch in Einbahnstraßen in beide Richtungen; Regeln gibt es nur in der Theorie. Tatsächlich gilt vor allem auf Vietnams Straßen ebenso wie in Kambodscha das Gesetz des Stärkeren: das größte Fahrzeug hat Vorfahrt, Fußgänger kommen ganz am Ende der Nahrungskette.

Überhaupt wird der Verkehr speziell in Vietnam von einem Egoismus gesteuert, wie ich ihn so noch nicht gesehen habe. Niemand nimmt Rücksicht auf niemanden. Bei Fußgängern wird allenfalls im allerletzten Moment gebremst. Wenn man die gegenüberliegende Straßenseite fast erreicht hat, nur noch ein, vielleicht zwei Schritte fehlen, muss man immer noch mit Rollerfahrern rechnen, die sich zwischen vor dem Bürgersteig vorbeiquetschen. Stoisch nach vorn starrend. Das kann furchtbar nerven und wäre bei unserem im Vergleich doch sehr stark auf Rücksichtnahme basierendem Straßenverkehr undenkbar.

Umso erstaunlicher ist der Gleichmut, mit dem sich die Menschen tagtäglich durch dieses Chaos wühlen. Stoisch sitzen sie im dichtesten Gedränge auf ihren Rollern. Hupen, anfahren, hupen, bremsen, hupen, weiterfahren. Auch Taxifahrer sind die Ruhe selbst. Ich habe keinen gesehen, der auch nur eine Miene verzieht, wenn vor ihm jemand ausschert. Man fummelt sich das Ganze halt so zurecht. Die größte Unmutsbekundung in diesem Durcheinander ist ein leicht verächtliches Schnauben. Kombiniert mit einem Hupen natürlich.

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